Prinzipien sozialer Dauerschuldverhältnisse (DE)
1. Lebenszeitverträge: Lebenszeitverträge sind soziale Dauerschuldverhältnisse, die mit Bezug zu einem Teil der Lebenszeit natür-licher Personen lebenswichtige Güter, Dienstleistungen, Arbeit und Einkommensmöglichkeiten zur Selbstverwirklichung und sozialen Teilhabe bereitstellen.
2. Humanität: Lebenszeitverträge stellen den Menschen in seiner Wirklichkeit und humanen Ausbildung in den Mittelpunkt. Es ist daher nicht nur der Vertragsabschluss sondern vor allem die dauerhafte Kooperation unter Berücksichtigung der Macht-verhältnisse, die es im Recht zu steu-ern gilt. Persönliche Verhältnisse zu Dritten (insbesondere in der Familie) müssen Berücksichtigung finden.
3. Langfristigkeit: Das Vertrauen beider Vertragspartner in den Bestand des langfristigen Lebenszeitvertrages wird geschützt (z.B. Kündigungsschutz), so dass Vertragsauflösungen nur mit der Wirkung „ex nunc“ erfolgen. Eine Eingrenzung erfährt dieser Vertrauensschutz durch die Privatautonomie insoweit, als ein Mindestmaß an Entscheidungs- und Handlungsfreiheit eine vorzeitige Aufkündigung erforderlich machen.
4. Verbundene Verträge: Die Einbettung der jeweiligen Vertragsverhältnisse in ein Netzwerk von Verträgen erfordert deren Einbeziehung und Beachtung bei der Lösung rechtlicher Fragen.
5. Rücksichtnahme: Die Bereitstellung von Nutzungsmög-lichkeiten für Verbraucher und Arbeitnehmer erfordert soziale Rücksichtnahme auf die konkreten körperlichen und seelischen Belange zum Schutz des Schwächeren. Das Gesetz oder andere kollektive Regeln sehen nach Art, Dauer und dem Grad der Bedeutung dieser Verträge für die Lebensverhältnisse der Betroffenen in zwingender Form verschiedene Stufen der Rücksichtnahme vor.
6. Produktive Nutzung: Wer im Rahmen von Lebenszeitverträgen Nutzungen und Einkommensmöglichkeiten bereitstellt hat alles zu unterlassen, was deren sozialen Zweck gefährdet.
7. Kollektivität und Ethik: Arbeitnehmer und Verbraucher können vom Staat verlangen, dass kollektive Systeme zu ihrer Interessenwahrung ebenso wie kollektive Wertsysteme von Treu und Glauben sowie den guten Sitten in den Prozessen von Abschluss, Gestaltung und Auflösung sozialer Dauerschuldverhältnisse Eingang und Berücksichtigung finden.
8. Zugang: Wer Lebenszeitverträge anbietet muss in Ankündigung, Vorbereitung und Abschluss sowohl bei der Definition der Gruppe, für die diese Nutzung bereitgestellt wird, wie auch innerhalb der Gruppe jede Diskriminierung nach persönlichen wie sozialen Merkmalen unterlassen. Die Bedeutung der Lebens-zeitverträge für die Befriedigung menschlicher Grund-bedürfnisse wie Wohnen, Arbeit, Teilhabe an der Wirtschaft erfordert ein Menschenrecht auf Zugang zu diesen Gütern und Dienstleistungen.
9. Entgelt: Leistung und Gegenleistung der Lebenszeitverträge dürfen nicht in einem auffälligen Missverhältnis stehen. Der Preis muss nach transparenten und diskriminierungsfreien Gesichtspunkten so bemessen sein, dass die Belastung tragbar und den Kosten angemessen ist.
10. Anpassung: Haben sich die sozialen und wirtschaftlichen Umstände, die die Grundlage des Lebenszeitvertrags bilden, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert oder stellen sich wesentliche Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, als falsch heraus und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt schließen müssen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung und seines sozialen Zwecks sowie der grundlegenden Pflichten der Person, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Kollektive Regelungen haben den Vorrang.
11. Kündigung: Die Kündigung von Lebenszeitverträgen gegenüber Verbrauchern und Arbeitnehmern muss transparent, nachvollziehbar und sozial verträglich gestaltet sein. Sie ist ultima ratio. Sie muss die wahren und angemessenen Gründe nennen und diskriminierungsfrei erfolgen. Sie soll sich nur an Gründen in der Person oder im Verhalten des Nutzenden sowie der Wirtschaftlichkeit der Bereitstellung für den Anbieter orientieren. Bei wirtschaftlichen Gründen sind kollektive Mechanismen des Interessenausgleichs zu suchen. Der einzelne und seine Interessenvertretung sind zu hören. Es ist Gelegenheit und Zeit für Vorschläge zur Vermeidung von Kündigung und/oder Kündigungsfolgen zu schaffen. Soweit die Kündigung im Interesse der Partei liegt, die den Vertrag erstellt und die Dienstleistung organisiert hat, muss sie die Interessen der anderen Partei gebührend berücksichtigen.
12. Kommunikation: Vom Beginn der Vertragsverhandlungen, während der Geschäftsbezieh-ung und bis hin zur Abwicklung des Lebenszeitvertrages soll der Dialog zwischen den Vertragspartner auf einer gleichrangig, kooperativ an der Erfüllung des Vertragszwecks sachorientiert sowie einer direkt persönlich geführten Kommunikation beruhen. Vor jeder Vertragsgestaltung (Abschluss, Anpassung, Kündigung etc.) hat eine diesen Maßstäben entsprechende Anhörung zu erfolgen, die dem Grundsatz vertrauens-getragener Kommunikation Rechnung trägt.
13. Information und Transparenz: Während der Vertragsverhandlungen, der Vertragslaufzeit sowie nachvertraglich soll eine an den Bedürfnissen des Vertragspartners orientierte hinreichende, wahrheitsgemäße, vollständige, rechtzeitige und verständliche Information erfolgen, die bestehende Informationsasymmetrien überwindet.
14.Existenzsicherung: Soweit Lebenszeitverhält-nisse regelmäßige Einkommen verschaffen, diese zeitlich und örtlich verfügbar machen oder sich auf Zahlungen aus solchem Einkommen beziehen, ist zu gewährleisten, dass das für die Sicherung des Existenzminimums notwendige Einkommen durch fortdauernde Zahlungen bzw. Schutz vor Pfändungen, Verjährungsregeln und Ausgleich nicht geschmälert wird.
15. Soziale Not: Die sozialen Risiken der Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Überschuldung müssen in der individuellen wie kollektiven Gestaltung der Nutzungsverträge entsprechend ihrer gesellschaftlichen Verursachung angemessen berücksichtigt und durch das öffentliche Recht ergänzt werden
16. Vertraulichkeit: Die während der Geschäfts-beziehung eines Lebenszeitvertrages erlangten persön-lichen Daten und darauf beruhende Bewertungen sind vertraulich zu behandeln und dürfen nur zur Erfüllung des Vertragszwecks benutzt werden.